Georgiens verkaufte Kinder

Georgiens verkaufte Kinder

Eine schwangere Frau geht zum Geburtshaus, sie bringt ein gesundes Kind zur Welt, gleich danach bekommt sie eine Spritze – angeblich medizinisch notwendig und sie kippt weg für mehrere Tage. Aufgewacht wird ihr mitgeteilt, dass sie Komplikationen nach der Geburt gehabt hätte und ins Koma gefallen sei, ihr Kind sei leider gestorben. Sie trauert, kann die Welt nicht verstehen, möchte ihr Baby sehen, das wird ihr aber verweigert. Dieses Bild würde sie nicht verkraften – das Baby würde auf dem Friedhof des Geburtshauses begraben werden. So ein Friedhof gab es nicht – es war eine Lüge! Ihr Baby lebte in Wirklichkeit weiter, es wurde lukrativ an eine zahlungskräftige Familie verkauft.

Bevor Du Dich fragst, wo so etwas möglich wäre, sage ich gleich: Das war die traurige Wirklichkeit vieler Mütter in Georgien in der ruhigen sowjetischen Zeit und noch drastischer wurde es nach dem Zerfall der Sowjetunion. Mal wurde den Eltern ein Koffer mit dem angeblich toten Baby darin mitgegeben mit der strengen Anweisung, den Koffer ungeöffnet zu begraben.

Wann diese schrecklichen Geschichten genau anfingen, ist nicht genau bekannt. Aber zumindest nachweislich Ende der 70er – Anfang der 80er gab es schon ein System im ganzen Georgien, auch in der Peripherie. Der neueste Fall, der Georgien vor kurzem erschütterte, liegt nachweislich 44 Jahre zurück. Der Vater in Kutaissi (die zweitgrößte Stadt in Westgeorgien) bekam Zweifel durch neueste Pressemeldungen und auch die BBC-Dokumentation zum Thema und beantragt die Öffnung des begrabenen Koffers, worin angeblich die Babyreste seiner Tochter liegen sollen. Der Koffer ist leer.

Losgetreten wurde der Stein durch die Journalistin Tamuna Museridze, die ihre leiblichen Eltern nach wie vor sucht. Durch die eigene Suche ist sie auf das System gestoßen, das seine Arme in ganz Georgien ausstreckte und über Jahrzehnte viel Leid und Ungerechtigkeit anrichtete.

Sie gründete eine NGO und eine Facebook-Gruppe mit dem Namen: „wedzeb“ – ich suche. Dort schreiben verzweifelte Mütter und ihre verkauften, jetzt erwachsenen Kinder aus der ganzen Welt.

Es sind anscheinend hunderttausende Fälle. So scheint es, dass in der ideologischen Blase des damaligen sowjetischen Georgiens ein sehr spezifisches verbrecherisches Modell zum Geldverdienen etabliert wurde. Ob das nur in Georgien war oder auch in anderen Republiken, ist mir nicht bekannt. Eins ist klar: dazu gehörte eine bestimmte Mentalität, die eine solche Grenzüberschreitung möglich machte.

Das Land war in sowjetischer Zeit sehr korrupt. Nach sowjetischen offiziellen Gehältern durfte es keine reichen Leute geben, aber die Wirklichkeit sah anders aus. Parteizugehörigkeit war eine Macht und diese Macht wurde oft missbraucht. Populäre Studienplätze und angesehene Jobs wurden für große Summen verkauft. Die Gesundheitsvorsorge war offiziell kostenlos. Du musstes aber eine beträchtliche Summe schwarz zahlen, wenn Du eine gute Behandlung bekommen wolltest. Nur das Geld allein reichte oft nicht, Du musstest alle Deine Kontakte einsetzen und bist durch Empfehlung/Begleitung oder mit vorherigen Anrufen eines Mittelmannes überhaupt zum Arzt gegangen um Dich abzusichern.

Das nennt man in Georgien „patronis qona“ – das bedeutet einen Patron/Beschützer zu haben. So war es eben. Ich erinnere mich, dass ich während der Studentenzeit ein paar Mal selbstständig zum Arzt gegangen bin, also diese o.g. Regeln missachtet habe mit solchen gravierenden Ergebnissen, dass ich danach alles daransetzte, um meine Gesundheit so gut zu pflegen, damit ich Arztbesuche vermeiden konnte.

Aber dass die Ärzte, Geburtshelfer, Krankenschwestern, Pfleger, Richter, Ämter, Gesundheitsministerium sich daran machten, massenweise den Müttern ihre Kinder in solcher abscheulichen Art und Weise zu rauben und diese zu verkaufen – das sagt sehr viel nicht nur über das ideologische System sondern über den Charakter der georgischen Gesellschaft, denn es waren keine Einzelfälle!

Das ist meine geliebte Heimat und das alles hier zu schreiben, fällt mir nicht leicht. Dieser Beitrag ist entstanden, weil ich gemerkt habe, dass man in Georgien zu diesem Thema nicht sprechen will. Am liebsten soll das Thema verschwinden, weil es anscheinend zu viele involvierte Leute gibt.

Es wird in Georgien oft mit Bedauern erwähnt, wie viele georgische Kinder in der Vergangenheit für Janitscharen Dienste im osmanischen Reich oder für Sklavenmärkte gekidnappt worden sind! Ich denke, die Gesellschaft hat das Recht zu erfahren, wie viele georgische Babys in den 90er Jahren mit gefälschten Dokumenten vom georgischen Gesundheitsministerium im Ausland zur Adoption freigegeben wurden!

Sehr bemerkenswert: Die meisten Täter waren georgische Frauen, die ihre eigenen Kinder hatten und mit dem eingenommenen Geld ihnen auch in den dunklen 90er Jahren ein Leben im Wohlstand ermöglichten – wohlgemerkt auf Kosten des Leids anderer Frauen und Kinder. Es ging hier nicht ums Überleben, sondern um Gier, Reichtum und Machtausnutzung. Es ist zu vermuten, dass ihre Angehörige jetzt bei Ämtern/Gerichten/Ministerien wichtige Posten besetzen und so die Klarheit mit allen Mitteln verhindern.

Tamuna Museridze berichtete in einer Sendung, dass sie mit den Behörden nicht weitergekommen ist, angeblich wurden Untersuchungen gemacht, die aber geheim bleiben sollten, zudem ließ man sie unterschreiben, dass sie der Öffentlichkeit keine Details mitteilt. Die Fälle seien schon verjährt und die mutmaßlichen Täter in einem hohen Alter! So die Begründung! Merke: Der bekannte jüngste Fall liegt im Jahr 2004. Gerade weil viele Täter noch am Leben sind, deswegen soll alles vertuscht werden.

Die Staatsanwaltschaft ist bis jetzt auch nicht aktiv geworden, das gesellschaftliche Interesse wächst, die Presse, darunter auch die internationale Presse berichtet immer wieder über diesen Skandal, aber die heimischen Behörden und was mich zutiefst enttäuscht, die Gesellschaft hüllen sich in Schweigen.

Ich habe mich lange gefragt – warum? Wie können besonders Frauen dieses bis zum Himmel schreiende Verbrechen einfach so hinnehmen, wenn sie wegen eines Wortes eines Politikers oder wegen eines Gesetzentwurfs fast Amok laufen? Endlos laut demonstrieren? Zurzeit ist in Georgien die Empörungsbereitschaft sehr groß, man regt sich über alles auf, kritisiert alles – z.B. die wunderschöne wirklich zauberhafte Weihnachtsbeleuchtung in Tbilissi wird kritisiert mit dem Vorwand, dass irgendwelche Kinder in Georgien vielleicht hungrig seien. Aber diese Gruppe hat zu den verkauften Kindern und verratenen Müttern nichts zu sagen. Warum?

Auch die Presse ist erstaunlich zurückhaltend. Neulich wurde in einer bekannten Sendung das Thema am Rande erwähnt, dazu der Gast – eine bekannte weibliche Person, die sich sonst dramatisch dazu äußert, wie schlimm sie alles um sich herum findet, sagt zum Thema fast emotionslos: das übersteigt meine Vorstellungskraft. Und das kaufe ich diesen Menschen nicht mehr ab.

Mir ist aufgefallen, dass in ein paar bekannt gewordenen Fällen, über die die BBC schon berichtet hatte, und man sie deshalb nicht der einheimischen Bevölkerung vorenthalten konnte, sowohl der Moderator als auch die Kommentatoren eine starke Empathie und Verständnis gegenüber der Mutter – nicht der leiblichen, sondern der Adoptiv-Mutter gegenüber zeigten.

Ich erinnere mich, dass in meiner Kindheit und Jugendzeit in Georgien Adoptionen streng geheim gehalten wurden. Die Kinder durften nie davon etwas erfahren. Meistens haben sie die Wahrheit später, oft nach dem Tod der Eltern (Erzieher) herausgefunden. Ich habe mich immer gefragt, warum? Die Erklärung für mich ist, dass auch die leiblichen Mütter in Georgien lebten und sie haben das Kind meistens nicht freiwillig zur Adoption frei gegeben, sondern es wurde ihnen im Geburtshaus geraubt.

Die neuen Eltern wussten meistens ganz genau, wie diese Kinder zu ihnen kamen. Ein Mann, der nach seinem Bruder sucht, hat im Kommentar geschrieben, dass seine Adoptivmutter ihm gesagt hätte, er hätte noch einen Bruder, aber weil er Herzprobleme hatte, hätte sie diesen nicht auch adoptiert.

Nun nachdem einige Kinder die Wahrheit herausgefunden haben, stellen sich die Adoptiv-Mütter naiv, sie hätten nicht gewusst, wie es zur Adoption gekommen sei und ob die Kinder Geschwister hätten.

Kinderlose Frauen in Georgien haben verzweifelt nach Wegen gesucht um Mutter zu werden, und weil eine georgische Mutter von Natur aus oft eine Demeter-Mutter ist (siehe Demeter-Archetyp in meinem Blog), das bedeutet, eine hingebungsvolle Mutter, die für ihre Kinder alles tut und sie freiwillig nicht zur Adoption geben würde, hat man Wege gefunden, ein zahlungskräftiges Klientel zu bedienen, indem man während der Geburt das Vertrauen und die Abhängigkeit jener Mütter, die keinen starken Patron/Beschützer hatten, ausnutzte. Ich erinnere mich sogar an solche Sätze wie: „Was will sie eigentlich, warum sucht sie nach ihren leiblichen Eltern? Hier fehlte ihr nichts und dort hätte sie nicht so einen Wohlstand gehabt, Wie kann sie nur so undankbar sein…“.

Also mit viel Geld kaufte man Kinder, die anderen wenig zahlungskräftigen Eltern mit List und Trick brutal weggenommen wurden, Und es sind anscheinend hunderttausende Fälle! Es ist schmerzhaft, dass diese Leute geschützt werden, dass man sie noch nicht einmal als Informationsquelle befragt. Wie kann so ein niederträchtiges Verbrechen verjähren? Dann muss das Gesetz angepasst werden!

Also zum blühenden Geschäft gehörte die zahlende Frau/Familie – die Nachfrage. Und es kam irgendwann dazu ein passendes Angebot. Georgien ist ein kleines Land, fast jeder muss im Angesicht der vielen Fälle involvierte Angehörige/Nachbarn/Bekannten haben und diese werden jetzt mit Schweigen und Nichtstun geschützt. Ist so ein Verhalten mit humanen Werten vereinbar? Für mich sind zu viele Pharisäer auf so kleinem Raum!

Mir ist klar geworden, warum viele Georgier für medizinische Vorsorge in die Türkei fahren oder nach Europa kommen. Sie vertrauen den eigenen Ärzten nicht. Das bedeutet natürlich nicht, dass es dort keine gewissenhaften und guten Ärzte gibt. Aber auch sie schweigen beharrlich: keine Stellungnahmen, kein Bedauern, keine Distanzierung. Im Gegenteil: Sie machen den armen Müttern die Suche schwer. Wie sollte man im Alter oder im Falle einer Krankheit sich in deren Abhängigkeit begeben?!

Die durch diese Schocknachrichten aufgeweckten verzweifelten georgischen Mütter gehen zum Geburtshaus/Krankenhaus, verlangen nach den Dokumenten und stellen fest, dass ihre Schwangerschaft und die Geburt in den Akten nicht mehr existieren. Als hätte sie das nur geträumt. Diese Frauen haben keine Lobby, die Täter und deren Verbündete umso mehr.

Nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen ist, hat das System angefangen mit Hilfe ausländischer Organisationen Babys noch teurer an ausländische Paare zu verkaufen z.B. nach Kanada und Amerika. Das Geschäft blühte richtig auf. Das Gesundheitsministerium, die Gerichte waren dafür zuständig, die Dokumente für Adoptionen fertig zu stellen. Als Unterschriften dienten in diesen Dokumenten Namen nichtexistierender Menschen! Und das sind keine Einzelfälle!

Eines steht fest: Die Aufklärung ist nur möglich, wenn ein gewissenhaftes Spezialisten-Team aus dem Ausland den Auftrag bekommt.

Erfahren die Opfer dieser abscheulichen Verbrechen jemals eine Gerechtigkeit? In Kommentaren schrieb eine Frau: Als ihre bekannte Gynäkologin im Sterben lag, hätte sie wiederholt gerufen: Kinder, Kinder lassen mich nicht auf die Treppe…

Egal was damit gemeint war, die Energie, die sie kreiert hat, geht nicht verloren, oft kommt sie wie ein Bumerang zurück: „Was du gibst ist deins“ – schrieb der große georgische Dichter Schota Rustaweli, 12.Jh. Möglicherweise hatte diese Ärztin in den letzten Tagen ihres Lebens ein schlechtes Gewissen. Das hilft aber den Opfern wenig.

Mich hat diese Geschichte umgehauen. Ich habe mein Kind 9 Monate getragen, die Geburt war schwer. Ich habe mir vorgestellt, dass das Personal mir eine Spritze gegeben hätte, damit ich handlungsunfähig geworden wäre und es damit genug Zeit gehabt hätte, das Baby irgendwo unterzubringen und es an zahlungskräftige Menschen zu verkaufen. Ein Albtraum für jede Mutter! Wer sind diese Menschen und deren Beschützer?!

Ein Verwandter von mir ist mit seiner schwangeren Frau in den dunklen 90er Jahren extra nach Tbilisi gegangen, weil er glaubte seine Frau mit Zwillingen im Bauch wäre in professionellen Händen. Welch ein Irrtum! Es wurde ihnen mitgeteilt, dass ausgerechnet das stärkere Baby von beiden nach der Geburt plötzlich verstorben sei, das schwächere Baby hätte aber große gesundheitliche Probleme: „Es wird so schwer für Sie und für das Baby, wollen Sie das Baby nicht lieber hierlassen?“ – mit einem besorgten mütterlichen Ton wurden die Eltern angesprochen! Zynismus pur! Das Mädchen ist jetzt eine junge Frau und hoffentlich findet sie irgendwann ihre Zwillingsschwester.

Möge keine Frau in dieser Welt diese abscheuliche Erfahrung machen, die das georgische medizinische Personal und die Gesellschaft vielen georgischen Frauen zugemutet haben.

Als eine Frau, die sich beruflich mit menschlicher Psychologie beschäftigt, habe ich natürlich nach einer Erklärung gesucht, wie so etwas möglich wäre. In jedem Land sind aufgrund der Geschichte bestimmte Archetypen – Ursprungspsychotypen dominant. Da Georgien nach dem 12. Jahrhundert ein Kampffeld und Spielball von brutalen und zerstörerischen Eroberungen wurde, sind bestimmte Archetypen, die mit List und Trick das Überleben ermöglichten, stark entwickelt. In einer relativ ruhigen Zeit wendet sich dieses Potential anscheinend gegen die eigene Bevölkerung.

Lies mal bitte die Beschreibungen in meinem Blog von der Zauberin/Hekate und Hades (der ein Meister von mehrschrittigen Kombinationen und Manipulationen ist), aber auch Athena und Artemis, die das Funktionieren des Systems ermöglichten.

Natürlich sind keine Archetypen – genetisch bedingte Psychotypen – nur gut oder nur schlecht, sie haben ihre sonnigen und auch schattigen Ausprägungen. In Georgien sind viele Hekate-Frauen in der schattigen Ausprägung. Dafür hat die harte Geschichte gesorgt, aber wir sind für unsere Taten verantwortlich.

Viele fragen sich, wie wagte das Personal, den Eltern einen leeren Koffer mitzugeben? Was wäre, wenn die Eltern den Koffer doch geöffnet hätten? Die Archetypen Hades und Hekate können Menschen gut einschätzen. Es gibt obrigkeitshörige Archetypen. Somit waren sie davon überzeugt, dass diese Eltern den Koffer nicht öffnen würden. Tatsächlich hat es bei dem o.g. Fall viele Tatsachen und Medienberichte gebraucht, damit der Vater nach 44 Jahren den Koffer ausgegraben und geöffnet hatte.

In Tbilissi auf dem Sololaki-Hügel steht eine Monumentalstatue „Kartlis Deda“ – die Mutter Georgiens mit einer Schale Wein für Freunde in der linken Hand und mit einem Schwert gegen die Feinde in der rechten – siehe Beitragsfoto. Kartlis Deda wurde im Jahr 1958 zum 1500-jährigen Stadtjubiläum errichtet um die besondere Rolle der georgischen Frau in der Geschichte zu würdigen. Nun braucht sie jetzt nicht vorrangig nach fremden Feinden Ausschau zu halten, Sie sollte lieber Ihren Blickwinkel ändern: Um sie herum und hinter ihrem Rücken tummeln sich leider viele eigene Feinde.

Diesen Beitrag widme ich und meine wärmsten Gedanken sende ich den verratenen georgischen Müttern, die jetzt zum zweiten Mal von dem georgischen Staat und der georgischen Gesellschaft im Stich gelassen werden.

Nana Schewski

hier geht es zum Archetyp Hekate – siehe Blog ⇒