Als das Flensburger Tageblatt auf der Titelseite des Lokalteils einen Artikel über mich und das Thema „Hochsensibilität“ veröffentlichte, habe ich dank zahlreicher Rückmeldungen das rege Interesse an diesem Thema wahrgenommen.
Als ich vor 2 Monaten einen Beitrag über Hochsensibilität und Verletzlichkeit auf meiner Facebook-Seite veröffentlicht habe, war ich sehr überrascht wie viele Leute ihn geliked, kommentiert und geteilt haben. Viele Menschen haben sich in der Beschreibung der Verletzlichkeit wiedergefunden und sie hielten sich anscheinend auch für hochsensibel.
Aber verursacht Hochsensibilität hohe Verletzlichkeit und alles andere, womit sie in Verbindung gebracht wird?
Zum Jahresende habe ich mir Zeit genommen, Gedanken über Hochsensibilität und ihr gesellschaftliches Image zu machen. Etwas stimmte für mich nicht. Hochsensibilität wird oft dramatisiert, als wäre sie eine große Belastung. Obwohl ich selber einige Beiträge den positiven Seiten der Hochsensibilität gewidmet habe, ist in anderen Beiträgen meine besorgte Stimme nicht immer zu überhören. Bekanntlich ist unsere Wahrnehmung von unserem Fokus abhängig. So ist in dieser besorgten Stimmung meine Hauptbotschaft zur Hochsensibilität untergegangen.
Hochsensibilität verursacht keine Probleme, weder im persönlichen noch im beruflichen Leben, sofern wir diese Eigenschaft bei unserem alltäglichen Handeln berücksichtigen. „Wie bei der Augenfarbe handelt es sich dabei um ein neutrales, gewöhnliches Merkmal“ – schrieb die Pionierin dieses Themas Elaine N. Aron. Hochsensibilität kann sehr viele Vorteile bieten. Wie das alles im Leben verwirklicht wird, ist von einigen Faktoren abhängig.
Motiviert durch viele Rückmeldungen wollte ich im Urlaub aus einer Vogelperspektive nochmals über das Thema nachdenken. Und das habe ich auch getan: gedacht, analysiert, gelesen und gesprochen. Mir ist einiges noch klarer geworden. Die Tatsache, dass ich mich als Coach jahrelang mit inneren Glaubenssätzen und Blockaden beschäftige, war mir sicherlich hier eine große Hilfe.
Hochsensibilität wird von vielen Menschen um uns herum als Mutter unterschiedlicher Probleme gesehen – zu Unrecht – so mein Fazit.
Nach dem Forschungsstand ist Hochsensibilität ein angeborenes Merkmal des Temperaments, also kein erlerntes. Sie ist die Fähigkeit, verstärkt Eindrücke/Reize tiefgründig aufzunehmen und sie tiefgründig (sowohl positiv als auch negativ) bearbeiten zu können. Diese Bearbeitung verlangt logischerweise Zeit und Ruhe und so ist ein zeitweiliger Verhaltensrückzug charakteristisch für diese Eigenschaft. Wenn dies nicht möglich ist, ist eine Überreizung wahrscheinlich. Die Grenze der Überreizung und die Reaktion auf Überreizung sind bei jedem Mensch unterschiedlich.
In vielen Büchern und überall im Internet wird folgendes Geschäftsmodell hochgepriesen: Da sitzt jemand am Meer oder am Pool mit einem Laptop. So verdient er seinen Lebensunterhalt und genießt gleichzeitig verschneite Berge oder rauschendes Meer. Es sieht sehr verlockend aus und darauf ist eine große Werbestrategie aufgebaut. Diese Strategie funktioniert anscheinend gut, weil sie unsere Sehnsucht nach einem leichten sorglosen Leben verkörpert. Die Realität ist, dass dies nur sehr bedingt möglich ist. Wir sind von Natur aus keine Multitasking-Wesen. Besonders die hochsensiblen Menschen dürften es noch schwerer haben Arbeit und schöne Reisen miteinander zu verbinden, weil sie dann viele Reize/Eindrücke aufnehmen und dadurch sehr abgelenkt sind. Und das ist auch gut so! Wir sollen im Hier und Jetzt sein und wunderschöne Natur richtig genießen statt am Laptop etwas zu tippen.
Ein hochsensibler Mensch braucht für gute Fokussierung eine Umgebung, die ihn wenig ablenkt. Er muss mehr darauf achten, als jemand ohne Hochsensibilität.
Lass uns den Begriff vereinfachen: Hochsensibilität ist die Fähigkeit, viele Reize aus der Umwelt aufzunehmen. Mehr nicht! Dass diese verstärkte Aufnahme der Reize für die Verarbeitung mehr Zeit und Energie benötigt, ist eine logische Konsequenz.
Alles andere, was der Hochsensibilität in die Schuhe geschoben wird, sind die Ergebnisse unserer inneren Ängste/Blockaden/ defizitären Glaubenssätze.
Wenn ein hochsensibles Kind in einer ungünstigen Umgebung aufwächst, bekommt es als Erwachsene all die bekannten Probleme mit Empfindsamkeit und hoher Emotionalität. Aber nicht wegen der Hochsensibilität sondern wegen seines Werdeganges und wegen seines Erbgutes. Möglicherweise verstärkt die Hochsensibilität seine Situation, aber sie verursacht nicht die Problematik.
Also:
- Hochsensibilität ist keine Ungeduld
- Hochsensibilität ist nicht die Veranlagung, stets zornig/wütend auf andere zu werden
- Hochsensibilität ist nicht ungeduldig/ungehalten zu sein
- Hochsensibilität ist nicht die Erklärung für Aggressivität
- Hochsensibilität ist nicht Mimosenhaftigkeit
- Hochsensibilität ist nicht schnell verletzlich und nachtragend zu sein etc.
Am Anfang habe ich auch die von mir in meiner Praxis beobachtete hohe Verletzlichkeit und Emotionalität mit Hochsensibilität erklärt, aber wenn ich genau hinschaue, sind es doch alles negative Prägungen/Glaubenssätze. Wir verleugnen die Hauptproblematik, wenn wir unsere Ungeduld, emotionale Betroffenheit etc. der Hochsensibilität anlasten. Wohin dies führen kann, dafür habe ich ein gutes Beispiel.
Psychologie Heute Online berichtete am 18. Dezember 2019, dass lautes Atmen, Kauen, Schmatzen in uns unbändigen Zorn auslösen könnten. Das Beitragsbild zeigt einen Mann, der in einen roten Apfel beißt.
Hier einige Kommentare unter diesem Beitrag (HS = Hochsensibilität):
„Das IN-DEN-APFEL-BEISSBILD ist besonders übel! Ich habe das Problem eher meiner Hochsensibilität zugeordnet…“,
„Nach dem Trinken laut „aaaahhchh“ machen. Könnt` ich reinschlagen“,
„Das kam bei mir mit der HS nach einem Trauma…“ ,
„…wenn jemand mit den Fingern knackt oder beim Trinken laut schluckt. Da könnte ich die Wände hochgehen“,
„Oh Gott, ich hasse es auch. Alles. Einmal bemerkt, kann ich nichts anderes mehr hören“.
Das sind einige Beispiele. Du merkst bestimmt, wie hoch das Aggressionspotential bei den Betroffenen ist. Zuerst eine Klarstellung: Hochsensibilität bekommt man nicht nach einem Unfall oder Trauma. Da wird man vorübergehend hochempfindlich.
Ja, hochsensible Menschen sind oft geräuschempfindlich. Weil sie wegen ihrer feinen Antennen alle Außengeräusche aufnehmen. Aber nicht alle geräuschempfindlichen Menschen müssen zwangsläufig hochsensibel sein. Und was wichtig ist, ein hochsensibler Mensch wird wegen Schmatzen seine Mitmenschen nicht schlagen wollen aufgrund seiner Hochsensibilität. Wenn jemand das doch tut, dann müssen wir die Gründe in der Sozialisation suchen.
Weiterhin habe ich einen Blogautor entdeckt, der wirklich ernsthaft behauptet, dass hochsensible Menschen keinen Smalltalk führen können. Die Begründung: Smalltalk sei für hochsensible Menschen zu oberflächlich. Wieso soll ein hochsensibler Mensch nicht in der Lage sein mit jemandem ein paar freundliche Sätze über das Wetter zu wechseln? Ich z.B. liebe es. Das Internet ist geduldig.
Wir sollten aufhören unsere Defizite mit der Hochsensibilität zu verwechseln/entschuldigen.
Leider spielen die Begrifflichkeiten hier eine ungünstige Rolle. Hochsensibilität wird oft zusammen mit folgenden Begriffen aufgereiht: „überempfindlich“, „verletzlich“, „verwundbar“, „empfindsam“, „mimosenhaft“, „rührselig“
Daher müssen wir unermüdlich aufklären und klar stellen, was eigentlich Hochsensibilität ist.
Was ist die Haupthürde bei der Hochsensibilität? Worauf sollte ein hochsensibler Mensch achten? Braucht er es überhaupt zu wissen, dass er hochsensibel ist?
Wenn dieser Mensch schon früh genug verstehen lernt, dass er sehr aufnahmefähige und feine Antennen hat und sich Strategien bewusst aneignet, die ihn vor möglicher Überreizung schützen, dann ist damit sehr viel getan. Die Aufklärung wird ihm dabei helfen, sein berufliches Leben nach seinen Stärken zu richten. Er wird sich besser verstehen können, was wiederum für seine beruflichen und persönlichen Beziehungen vorteilhaft ist.
Die Aufklärung wird diesem Menschen gut helfen, sein Leben besser, angenehmer, gesünder und erfolgreicher zu gestalten. Also warum nicht?
Mögliche Hürden am Arbeitsplatz?
Die über 10 Jahre intensive Beschäftigung als Berufscoach hat mir deutlich gezeigt: Wenn unser Job auf unseren Stärken basiert, wenn uns keine Dramen und inneren Konflikte/Defizite plagen und Energie rauben, dann findet sich immer ein guter Lösungsweg für entstandene Alltagsprobleme. Die inneren Probleme sollten im Coaching oder in der Therapie gelöst werden, sofern sie nicht mit Eigenbemühungen zu lösen sind. Das gilt für alle Menschen.
Nicht alle Menschen im Arbeitsumfeld, die sich nicht auf ihre Aufgaben am Schreibtisch oder am PC gut fokussieren können, weil ein Radio im Hintergrund läuft, müssen hochsensibel sein. Die Forschung ist sich darin einig, dass Multitasking zu Fehlerhäufigkeit und Leistungsminderung führt und das ohne Hochsensibilität.
Ist es nicht unser Recht die Möglichkeit zur Fokussierung zu haben, ohne dass jemand im Büro ein Radio einschaltet? Die Probleme liegen hier doch woanders als in der Hochsensibilität? Nämlich: in unseren/unserem Glaubenssätzen/Wertesystem.
Die Frage ist: Warum muss sich eine Person für ihren Wunsch nach einem ruhigen Arbeitsplatz rechtfertigen oder gar als „zu sensibel“ titulieren lassen? Es muss doch im Sinne jedes Arbeitgebers sein, den Mitarbeitern eine leistungsfördernde Umgebung zu ermöglichen? Hier werden auf die Hochsensibilität Probleme gelagert, die eindeutig in andere Bereiche gehören.
Die moderne Welt verlangt von allen Menschen schon hohe Disziplin und klare Prioritätensetzung um sich vor der Informations-/Reizüberflutung zu schützen. Wenn jemand diese Aufgabe für sich nicht bewältigt, bedeutet es nicht, dass die Hochsensibilität hieran immer schuld ist und/oder diese Person überhaupt hochsensibel ist.
Fakt ist: wir alle sind Originale, die viel Gemeinsames aber auch viele Unterschiede haben. So ist es auch mit der Hochsensibilität. Es spielen viele Faktoren, wie unser Temperament, Erziehung, Wertesystem, erlernte Reaktionsmuster eine wichtige Rolle.
Die einmal vorhandene Hochsensibilität bleibt uns immer erhalten mit ihren Stärken und Herausforderungen.
Die gute Nachricht ist: all unsere inneren Defizite, unterdrückter Zorn/Wut, fehlende Selbstachtung/-liebe, Anerkennung etc. sind lösbar und veränderbar. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich plädiere dafür, dass wir unsere Originalität mit oder ohne Hochsensibilität anerkennen und Verantwortung für unser Reaktions- und Verhaltensmuster übernehmen. Da der Mensch bekanntlich den Weg des geringen Widerstandes wählt, wünsche ich mir Motivation und Mut für uns alle um uns von Altlasten zu befreien und einen Weg zu uns selbst zu finden.
Das sei uns allen gegönnt!
Herzlichst, Nana
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Dieser Artikel passt zum Thema » Hochsensibel? – deine Vorteile
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